Fremd
Schau her,
das ist Haut.
Das ist die Stelle,
wo ich aufhöre
und die Fremde
beginnt.
Vom schelmischen Tod
Das eingeworfene Fenster stimmt mich sofort milde.
Ich verliebe mich in den gezackten Rand, der im Rahmen verbliebenen Scherben.
Ich schmunzle, weil das dunkle Loch mich an den Tod erinnert.
Das Dunkel im Scherbenkranz spricht mit freundlicher Stimme,
erzählt lächelnd und voll Nachsicht von dem Frechdachs mit dem Stein
und wie er um sein Leben lief, als es klirrte.
Ich krieg dich schon, sagt der Tod im Fenster, lächelnd,
mit schelmisch hochgezogener Augenbraue.
Erziehung
Ihr habt mir gezeigt,
was wichtig ist,
bis ich blind wurde.
Ihr habt mir gesagt,
was richtig ist,
bis ich taub wurde.
Ihr habt meine Hand
für euch ins Feuer gelegt,
bis ich nichts mehr spürte.
Öffentlich
Das sehr private Zunicken
eines Fremden im Café
machte mich öffentlich.
Plötzlich sahen mich andere erwartungsvoll an.
Als ich dann schnell zahlen wollte,
fielen mir Münzen auf den Boden.
Ich verhakte mit dem Arm in der Jacke, als ich sie anzog.
Endlich war ich dann draußen,
hatte aber meine Einkäufe drinnen vergessen.
Ich musste nochmals zurück in die fragenden Blicke.
Meine Hände waren unangenehm feucht und hastig.
Als ich meine Tüte endlich hatte, stieß ich im Gehen mit dem Knie an einen Stuhl.
Das schrecklich laute Geräusch
zog den kritischen Blick der Bedienung auf sich.
Ich lächelte hilflos in die Runde.
Plötzlich ein Kitzeln in der Nase;
ich nieste heftig heraus.
Jemand lachte irgendwo.
Ich hätte sterben mögen.
Flüchtling
Ich habe meine Wurzeln
lassen müssen
in meinem Dorf,
vor dem Haus von Vater und Mutter
Jetzt bin ich ein loser Baum
und euer Wind ist voll Gier und Geld.
Er brennt auf der Haut.
Er kommt aus eurer Wüste.
Erotik
Die Erotik
von Gras und Bäumen
von Wolken und Schwalben,
plätschernder Bäche,
von Staub, Sand und Felsen,
eines wogenden Weizenfeldes,
von stehender Hitze und lauem Wind,
von Wellen vor Meereshorizont,
von schnurrendem Katzenfell.
Die Erotik
des Lichts vor Sonnenaufgang,
der tanzenden Funken auf einem See,
summender Cellosaiten,
einer Wiese voll Margeriten,
des hergewehten Kaffeedufts an einem kühlen Morgen,
der Schaumkrone auf eiskaltem Bier,
des Lichts, das durch ein Weinglas fällt,
von Bratwurst mit Senf auf einem Pappteller,
der glatten Wölbung eines gestürzten Grießpuddings.
Die Erotik
von Pfirsichhaut,
von zartem Hauch auf den Lippen,
der leisen Stimme dicht am Ohr,
drängender Nähe,
von Glitschigem an den Fingerspitzen,
von heißer Feuchtigkeit,
keuchender Atemlosigkeit,
zuckender Körper, die sich ungestüm ineinander vergraben,
des befreienden Lachens,
der Haarsträhne im Gesicht,
der Zigarette danach.
Vom mürben Rand der Zuversicht
Ein Mädchen tanzt
mit fliegendem Kleid
und ungestümem Haar
über den Gehweg,
quer durch die Passanten.
Da beginnt es wieder,
ein Leben
auf der Schräge.
Das heiße Blech der Rutsche,
das kurze Eis der Schlitterbahn,
der, immer letzte, erste Kuss,
der lange Schrei abgezogener Pflaster.
Kritisch
Die Haare,
die ich in der Suppe der anderen
finde,
sind oft meine eigenen.
Nüchtern betrachtet II
Die Begeisterung
über die Geburt
eines neuen Menschleins
erinnert mich
in ihrem Unbedacht
an die Heftigkeit
der Trauer
bei seiner Beerdigung.
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